Wir schreiben den 6. April 1974, Uhrzeit 10:20. Es ist ein Samstag, am heutigen Abend wird die schwedische Musikgruppe ABBA mit dem Hit "Waterloo" den "Grand Prix d’Eurovision de la Chanson" gewinnen....und einen Ohrwurm kreiert haben.
Beginnen wir mit der Rundschau und lassen den Blick Richtung Hauptbahnhof schweifen. Linker Hand führt das Gleis 61a mit den Güterwagen bis zum Ende des Pumpenhauses am Wasserturm. Vor uns liegen die Tauschradsätze für Güterwagen auf einem nicht angebundenen Gleisstück, ausreichend für mindestens 7 zweiachsige Waggons. Über den beiden Gleisen thront der Brückenkran zum Verladen der Radsätze, unter der schützenden Abdeckung am rechten Ende der Kranbrücke befindet sich dessen Laufkatze. Die gemauerte Grube von Gleis 62 ist noch ungenutzt vorhanden, am Sandbunker-Gebäude steht der Hilfszug auf Gleis 62b und wartet auf den nächsten Einsatz.
Gehen wir doch etwas näher ran. Im linken Vordergrund sind die beiden Ölentnahmestellen für die Kesselwagen zu erkennen. Das mechanische Stellwerk "Bl", eingepfercht zwischen Fahrdraht und Masten, ist nach wie vor zuständig für sämtliche Signale und Weichen der diesseitigen Abstellung und des Bahnbetriebswerks. Unterhalb der Treppe des Stellwerks findet sich auch der Abort für das dort beschäftigte Personal. Nach wie vor ist der Wasserkran am Einfahrgleis vorhanden. Recht seltsam mutet der von einer Einheits-Elektrolok geschobene Rangierverband, bestehend aus einer V60 und einem VT98 auf Gleis 64 an.
Wenn wir noch einen Schritt näher auf den Wasserturm zugehen, sehen wir links das noch unverputzte Wittkop-Gebäude, rechts hinter dem Wasserturm die Giebelwand der dazugehörigen Lagerhalle.
Wenn wir uns nun umdrehen und Richtung Drehscheibe schauen, fällt unser Blick auf den auf Gleis 62b abgestellten Hilfszugwagen. 11 Tage später wird er in Brackwede dringender gebraucht werden, als man ahnen kann. Der Brand und die anschließende Explosion der 18 wegen eines Heißläufers entgleisten und mit Benzin befüllten Kesselwagen wird als eines der schlimmsten Eisenbahnunglücke in die Geschichte eingehen.
Farbfoto: Sammlung Maritschnigg
Wieder zurück an der Drehscheibe empfängt uns dort die heimische 260 305. Versteckt zwischen Lokleitung und einer V160 lauert der Hofhund in Gestalt der Kö I 311 225 auf weitere Rangieraufträge. Die V100 in Schuppenstand 4 macht den Dieselreigen komplett. Man beachte die kreativ gestalteten Holzübergänge.
Noch ein paar Schritte um die Drehscheibe herum hat man den Blick auf die Hauptstrecke frei, auf deren Güterbahn ein Umbauwagen-Personenzug Richtung Herford davonrollt.
Nachdem sich das "Dreibein" wieder von der Drehscheibe entfernt hat, führt uns der Weg auf die andere Seite. Offensichtlich erregt der Fotograf die Aufmerksamkeit des kittel- und westentragenden Eisenbahners an der Lokleitung. Nette Details sind auf der - noch mit mechanischem Sh-Signal versehenen - Drehscheibe zu erkennen. Abgesehen von den Ölkannen fällt das Datum der HU vom 10.5.72 ins Auge. Darüber hinaus ist die Bude des Wärters immer noch mit einem Kohleofen ausgerüstet. Auf dem Dach warnt das Schild vor der Lichtraumbeschränkung an allen Lokschuppentoren. "Die Drehscheibe ist nur nach Anweisung des Drehscheibenwärters zu befahren!"
Fotos: Sammlung BEF
Wir wollen jedoch auch im nahenden Frühling den Winter nicht vergessen. Auf Gleis 62a hat der Schneepflug Bauart 844 mit der Nummer 973 5 044 den Standort des ehemaligen Kohlekranes eingenommen. So sieht eine konsequente Zweitnutzung eines Wannentenders aus.
Foto: Richard Schulz